Fortschritt für den Leichtbau: Peter Dornier-Stiftungspreis 2024 prämiert neue Technologie zur direkten Herstellung schalenförmiger komplexer 3D-Gewebe
Ein innovatives Webverfahren ermöglicht es erstmals, endkonturnahe Gewebe für schalenförmige Leichtbauteile ohne Schneid- und Legeprozesse in einem Stück zu weben. Das könnte die Herstellung von Faserverbundbauteilen für die Luft- und Raumfahrt, den Fahrzeugbau und die Produktion von Sportgeräten revolutionieren. Für diese Entwicklung wurde der Dresdner Textilmaschinenbauingenieur Dominik Nuß jetzt mit dem Peter Dornier-Stiftungspreis 2024 ausgezeichnet.
Laut einer im Juli 2024 veröffentlichten Studie des Bundeswirtschaftsministeriums zur ökonomischen Bedeutung des Leichtbaus in Deutschland wurden hierzulande im Jahr 2019 Güter und Dienstleistungen mit Leichtbaubezug im Wert von knapp 360 Milliarden Euro erzeugt. Das entspricht der Studie zufolge einem Anteil von rund 5,5 Prozent am gesamten deutschen Bruttoproduktionswert. Die Zahlen unterstreichen die wachsende Bedeutung von Bauteilen aus Faserkunststoffverbund (FKV) für die nachhaltige Transformation. „Ob Flugzeugturbinenschaufel, Kofferraumdeckel, Schiffsrumpf oder Windradflügel – leichte und zugleich stabile FKV-Bauteile helfen in zahlreichen Anwendungen, Gewicht, Material und Energie einzusparen“, sagt Dr. Dominik Nuß, Forschungsgruppenleiter für Webtechnologie am Institut für Textilmaschinen und textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM) der TU Dresden. Häufig kommen dabei Carbon- oder Glasgewebe zum Einsatz, so Nuß. „Für zahlreiche Leichtbauanwendungen werden schalenförmige Bauteile mit nicht abwickelbaren Geometrien benötigt, die aber bisher nicht direkt gewebt werden können“, erklärt Nuß. Doch das könnte sich nun ändern.
Flugzeugturbinenschaufel direkt aus der Webmaschine
„Für FKV-Bauteile aus Carbon mit komplexen Geometrien werden bisher Verstärkungsgewebe hergestellt, manuell in viele kleine Teile geschnitten, in gewünschter Form neu zusammengesetzt, drapiert und mit Kunststoff ausgehärtet.“ Ein zeit- und ressourcenintensiver Prozess, den Textilmaschinenbauingenieur Nuß zu optimieren anstrebt. Im Rahmen seiner Promotion entwickelte Nuß deshalb ein völlig neues Webverfahren, mit dem sich endkonturnahe Gewebe aus Hochleistungsfasern wie Aramid, Glas oder Carbon für komplexe, schalenförmige Leichtbauteile erstmals im Ganzen weben lassen. Dazu nutzte Nuß nicht nur das abzugsfreie Weben ohne klassische Gewebeaufwicklung. Er entwickelte auch ein flexibles Webblatt, mit dem sich die Gewebebreite an die Bauteilbreite noch im Webprozess anpassen lässt. „Durch das abzugsfreie und breitenvariable Weben können komplexe 3D-Geometrien wie Turbinenschaufeln direkt auf der Webmaschine hergestellt werden – die zeitintensiven und abfallerzeugenden Prozesse von Zuschnitt und Legen entfallen damit komplett“, sagt Nuß.
„Verfahren revolutioniert Herstellung von Verstärkungsgeweben“
Für seine Dissertation mit dem Titel „Neue Verfahren zur integralen Herstellung schalenförmiger Gewebestrukturen: Technologien-, Methoden- und Maschinenentwicklung“ hat der Textilforscher deshalb jetzt den mit 5.000 Euro dotierten Peter Dornier-Stiftungspreis 2024 erhalten. Für den Wissenschaftler ist es eine besondere Auszeichnung: „Der Preis ist für mich eine große Ehre. Von dem Unternehmen ausgezeichnet zu werden, auf dessen Webmaschinen meine Entwicklungen basieren, ist etwas ganz Besonderes – denn nichts ist bekanntlich kritischer als eine Jury, die selbst vom Fach ist.“
Der Juryvorsitzende und Laudator, Adnan Wahhoud, der 26 Jahre lang die Entwicklungsabteilung Luftdüsenwebmaschinen bei DORNIER leitete, begründete bei der Preisverleihung die Entscheidung: „Das Verfahren revolutioniert die Herstellung von Verstärkungsgeweben mit völlig neuen Ansätzen und zeigt Möglichkeiten in der Gewebeherstellung auf, die so noch nie umgesetzt wurden. Herr Nuß nutzt die Flexibilität der DORNIER-Webmaschinen und setzt damit neue Maßstäbe in der Herstellung von Geweben für den Leichtbau.“ Nuß hatte für seine Versuche eine modifizierte Greiferwebmaschine von DORNIER und eine Jacquardmaschine der Firma Stäubli eingesetzt.
Wichtiger Beitrag für Nachhaltigkeit und Ressourceneffizienz
Maja Dornier, Vorsitzende der Peter Dornier-Stiftung und Ehefrau des 2002 verstorbenen Stifters Peter Dornier, würdigte die prämierte Arbeit bei der Begrüßung der rund 100 Gäste im Technologiezentrum Weben von DORNIER: „Das neue Webverfahren leistet einen wichtigen Beitrag zu mehr Ressourceneffizienz in der modernen Leichtbauindustrie und trägt damit zur Nachhaltigkeit bei.“ Sie fügte hinzu: „Stiftungsgründer Peter Dornier hätte seine Freude daran gehabt, dass die Doktorarbeit innovative Leistungen auf dem Gebiet der Gewebeherstellung mit dem Leichtbau in der Luft- und Raumfahrt verbindet.“
Sohn Peter D. Dornier, Aufsichtsratsvorsitzender und zuvor langjähriger Geschäftsführer der Lindauer DORNIER GmbH sowie Beirat der Stiftung, würdigte die Lebensleistung seines Vaters: Als zweitältester Sohn des Luftfahrtpioniers Claude Dornier habe er nicht nur als Flugzeugkonstrukteur technologische Meilensteine gesetzt – als Gründer und jahrzehntelanger Geschäftsführer des international tätigen Webmaschinen- und Sondermaschinenbauers habe Peter Dornier bereits in den 1960er-Jahren die Entwicklung von Webtechnologien initiiert, die schließlich 2014 unter der Ägide von Peter D. Dornier in den neuen Geschäftsbereich „Composite Systems“ mündeten. Hier entwickelt und baut DORNIER seither Webanlagen, mit denen für die anspruchsvolle Luft- und Raumfahrtindustrie hochkomplexe Gewebe prozesssicher und skalierbar in Serie gefertigt werden können.
Erstmals Crash-Teile aus Carbon in einem Stück weben
Mit dem prämierten Webverfahren lassen sich laut Preisträger Nuß nicht nur Turbinenschaufeln, Halbschalen für Schutzhelme oder ganze Sport- und Segelboote in einem Stück fertigen. Für eine spezielle FKV-Anwendung hält er sein Webverfahren für besonders geeignet: Energieabsorbierende Crash-Strukturen, kurz: EACS. Solche Crash-Bauteile finden sich in Stoßstangen oder im Frontbereich von Autos, in Radsystemen von Flugzeugen, in Schienenfahrzeugen und sogar in Aufzügen. Sie bestehen meist aus Metall oder Carbon und nehmen bei einem Aufprall Energie auf, um die Insassen zu schützen. Nuß ist überzeugt: EACS-Bauteile aus Carbon könnten mit seinem neuen Webverfahren ein deutlich besseres Absorptionsvermögen erhalten. „Bisher geht es vor allem um die Dicke des Carbongewebes – komplexe Krümmungen für einen geometrieoptimierten Querschnitt zur Verbesserung des Crashverhaltens lassen sich derzeit mit keinem Webverfahren herstellen“, erklärte Nuß bei der Preisverleihung. Deshalb hat er kürzlich ein Forschungsprojekt zu seiner nun mit dem Peter Dornier-Stiftungspreis ausgezeichneten Arbeit begonnen. Darin will er herausfinden, wie sich mit Carbon auch komplexere EACS-Bauteile mit optimierter Faltengeometrie „am Stück“ weben lassen, die deutlich leistungsfähiger sein sollen als herkömmliche EACS-Bauteile.
Zum Peter Dornier-Stiftungspreis
Die Idee des Peter-Dornier-Stiftungspreises geht zurück auf Peter Dornier (1917-2002), den Gründer der Lindauer DORNIER GmbH. Der Preis wird seit 2021 jährlich für herausragende wissenschaftliche Arbeiten junger Menschen auf den Gebieten Textil-, Folien- und Faserverbundtechnik sowie Luft- und Raumfahrt verliehen. Zum Stiftungszweck gehören auch die Förderung der medizinischen Forschung sowie die Unterstützung von Hospizen für ein selbstbestimmtes und würdevolles Leben bis zuletzt.